Die Unfähigkeit zum Diskurs
Die Unfähigkeit zum Diskurs
Versuch einer Analyse zum gesellschaftlichen Kommunikationsverhalten
Als „Bielefeld steht auf“ mit Gästen aus ganz NRW wieder eine Veranstaltung für Demokratie und gegen Bevormundung/Überwachung durchführte, standen auf der anderen Seite die Antifa, Omas gegen Rechts und weitere Bürger, auch mit Anti-Nazi Plakaten. Der Verfasser bemühte sich mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen. Viele von ihnen hätten eigentlich auf Grund Ihrer Einstellung bei uns vor dem Rathaus sein müssen. Das wollte aber niemand, weil die Meinung vorherrschte, dass wir alle Rechte oder Nazis sind. Der folgende Text ist dementsprechend der Versuch einer Analyse der Gründe für die verbreitete Unfähigkeit kompetent und sachlich miteinander zu reden.
Wie sich die Zeiten ändern
Willy Brandt (SPD) wollte mehr Demokratie wagen und fand breite Zustimmung. Egon Bahr (SPD) forderte Wandel durch Annäherung mit der damaligen SED, eckte aber auch bei Parteifreunden an (Herbert Wehner: Bahrer Unsinn). Prof. Dr. Ludwig Erhard schrieb sein Buch „Wohlstand für Alle“ und erntete durchaus harsche Kritik in seiner eigenen Partei, insbesondere vom damaligen Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer.
Die wesentlichen Unterschiede zu heute. Über Ansichten wurde eher qualifiziert miteinander geredet, politische Kabaretts zogen die Politik(er) kompetent durch den Kakao, und im Bundestag gab es regelmäßig Debatten, die zumindest einen gewissen Stil hatten. Die Einführung der Notstandsgesetze trieb 1968 hunderttausende von Menschen auf die Straße. Natürlich gab es Spießbürgertum und Unmengen von Lesern der Bildzeitung. Die waren aber meist gewerkschaftlich organisiert, wählten fast alle SPD, und diese Partei kannte damals noch ihr Godesberger Programm. In den 80er Jahren gingen massenhaft Menschen für Frieden und Abrüstung und gegen Atomkraft auf die Straße. Studenten und Gewerkschafter waren häufig die Speerspitzen dieser Aktivitäten. Der Diskurs wurde hart, jedoch auch breiter und offener geführt. Aber viele nachdenkliche und kritische Menschen mussten in den vergangenen Jahren erleben, wie es zunehmend schwieriger wurde, sich über aktuelle Probleme sachlich auszutauschen.
Stagnation des Denkens und Verhaltensparadoxien
In der Tradition des offenen und faktenbasierten Diskurses hat der Verfasser in der Corona-Zeit Statistiken gewälzt, wegen des Ukraine Krieges etliche völkerrechtlich bindende Verträge gelesen und sich in Sachen Klima mit Forschung und Hintergründen beschäftigt, um qualifiziert mitreden zu können.
Versuchte er allerdings in Gesprächen anhand statistischer Daten (von Pfizer, Moderna, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dem RKI oder vom statistischen Bundesamt) zu hinterfragen, ob denn alles mit rechten Dingen zugeht, dann lagen die Reaktionen vielfach zwischen ignorieren und beschimpfen. So wurde er zum Corona-Leugner. Viele von uns haben Ähnliches und Schlimmeres zu Hauf erlebt.
Belegt der Verfasser im Gespräch anhand von Zitaten aus existierenden Staatsverträgen, dass der Hintergrund des Ukraine Krieges völkerrechtlich nicht so eindeutig ist, wie es normaler Weise propagiert wird, dann ist er Putin-Versteher. Er will natürlich, dass der Krieg sofort aufhört! Man muss aber auch Historie und beide Seiten sehen, um einen Ansatz für Friedensverhandlungen zu finden. Diese Denkweise ist zur Zeit aber gar nicht gefragt.
In Sachen Klima ist die Diskussion über die propagierten Klimamodelle sowie Wetterphänomen und Anderem nahezu unmöglich. Was der CO2 Gehalt nun tatsächlich bewirkt oder bewirken soll wird ausschließlich in vollkommen unverständlichen, in sich wiedersprechenden Berechnungen präsentiert, Diskus? Fehlanzeige! Wir hatten immer wieder besondere Wärmephasen, z.B. während der Zeit des Römischen Reiches (Römische Warmzeit oder Klimaoptimum) und im Hochmittelalter. Weil der Verfasser solche Dinge von sich gibt, ist er auch noch Klima-Leugner. Dass in Windkraftwerken und Wärmepumpen Giftgase verwendet werden (PFAS und SF6) wird ebenso weitgehend ignoriert wie das Problem der Batterien-Entsorgung und der ökologischen Katastrophen bei der Förderung und Verarbeitung Seltener Erden.
Sollten wir nicht besser über Umweltschutz nachdenken? Über den Müll der überall produziert wird oder über die rücksichtslose Nutzung unserer Rohstoffe?
Stellt er dann auch noch die Frage, ob es ggf. Nutznießer der gegenwärtigen Krisen gibt, offenbart er sich endgültig als Schwurbler und Verschwörungstheoretiker.
Das waren nur drei Beispiele, welche die akute Unfähigkeit vieler Mitbürger zum sachlichen Diskurs belegen. Fasst man seine zuvor geäußerten, kritischen Standpunkte einmal im gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext zusammen, dann wird der Verfasser obendrein als Nazi betrachtet. Das hat zwar mit der Sache überhaupt nichts zu tun, dennoch wurde er als solcher schon mehrfach beschimpft. Tiefer und gemeiner kann man ihn übrigens nicht beleidigen.
Wie kommt unsere Gesellschaft wieder weg von faktenfreier Diffamierung und hin zum fundiert geführten Diskurs im unserem ureigenstem Interesse des Erkenntnisgewinns? Wenn uns der Skeptizismus zugesteht, dass unsere begründeten Überzeugungen über die Außenwelt falsch sein könnten, sollte dann das Hinterfragen von Dingen nicht eine zutiefst menschliche Eigenschaft sein? Stattdessen, so könnte man meinen, fürchten sich weite Kreise sehr davor. Warum ist das so?
Erkenntnisgewinn wird negativ konnotiert
Beleuchten wir diese Frage nach dem mangelnden Interesse am Erkenntnisgewinn einmal an einem praktischen Beispiel.
Wohl noch niemand hat am Ende einer Talkshow den folgenden oder einen ähnlichen Satz von einem Politiker gehört: „Lieber Herr Kollege von der Gegenpartei, ich habe heute wirklich etwas von Ihnen gelernt. Meine bisherige Position war falsch. Lassen Sie uns gemeinsam an einem Konzept nach Ihren Leitlinien arbeiten.“ Nein, in einer Talkshow gilt es, seine Meinung gebetsmühlenartig zu zelebrieren, sonst ist man umgekippt. Umgekippt heißt im Umkehrschluss jedoch, man hätte dazugelernt.
Die Formel lautet also, dazulernen = umkippen und umkippen = schlecht. Was führt zum umkippen? Fundierte Kritik. Erweitern wir unsere Formel also um Kritik = böse.
Genau das wird uns in allerlei Diskussionsformaten ständig vorgeführt. Schließlich ist eine Talkshow ein Rededuell, und wer bei einem Duell verliert, wäre besser nicht hingegangen. Daraus folgt die Konnotation: Dazulernen = verlieren.
Prof. Dr. Axel Bänsch weist in seinem Buch „Einkäuferverhalten“ nach, dass Menschen im Gespräch neben Gewinnzielen, dem Umweltgedanken, Sicherheit, Bequemlichkeit und Status auch Recht haben wollen. Wer also versucht, das Erkenntnisspektrum seines konträr denkenden Gegenübers zu erweitern, der kratzt an dessen Bequemlichkeit im Denken, an der Sicherheit seines Gedankengebäudes und an dessen Status, weil das Dazulernen = umkippen ist und Kritik = böse. Wenn der Andere dann auch noch in Sachen „Recht haben“ der Unterlegene sein soll, dann ist das Maß wirklich voll. Hätte das Gegenüber das Dazulernen positiv als Erkenntnis konnotiert, hätte es tatsächlich etwas gewonnen, nämlich Erkenntnis. In der Regel erfolgt diese Konnotation eben nicht. Genau deshalb wird versucht auf andere Weise zu gewinnen, eben durch abstruse Argumentation, Schubladendenken (Schwurbler, Leugner) oder Beschimpfung.
Die Unfähigkeit zum Diskurs in der Praxis
Wer vier Mal gespritzt und geboostert ist, wird im Diskurs aus den genannten Gründen nur in seltenen Fällen einen Erkenntnisgewinn akzeptieren. Neben der Einsicht, dass er sich massiv selbst geschädigt hat, käme nach Bänsch die Tatsache hinzu, dass er im Gespräch alle seine Ziele verloren hat, er also durch Dazulernen/Erkenntnis umgekippt ist, und das ist eben negativ, und die Schuld liegt bei der bösen Kritik, bzw. dem bösen Kritiker. Mit Logik ist da nichts mehr zu machen. Wie, aber, versetzt man weite Teile der Bevölkerung in eine derartige Geisteshaltung? Dazu folgt der Versuch einer Erklärung.
Im Zusammenhang mit dem Ukraine Krieg macht sich der Verfasser diesbezüglich besonders ernste Sorgen. Zunächst hieß es, wir liefern nur Helme, keine schweren Waffen. Daraus wurden erst Schützenpanzer, dann Kampfpanzer. Man wollte keine Kampfjets liefern. Die kommen jetzt aber auch. Nun sind Mittelstreckenraketen in der Debatte. Wann wird es um die Söhne und Töchter dieses Landes gehen?
Diskursverweigerung durch Ideologie, Gehorsam und Entmündigung
An dieser Stelle betrachten wir das wohl drastischste Beispiel der Deutschen Geschichte.
Dem Verfasser liegt es fern, das heutige Deutschland mit dem NS-Staat zu vergleichen. Dennoch ist es angemessen, sich mit den Strukturen und Mechanismen der damaligen Kommunikation zu beschäftigen, weil eben diese Strukturen und Mechanismen der Stagnation im Denken den Heutigen signifikant ähnlich sehen.
„Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?“ Joseph Goebbels, Rede im Berliner Sportpalast [„Wollt Ihr den totalen Krieg“], 18. Februar 1943 Es folgte frenetischer Beifall!
„Wollt Ihr etwas, wovon Ihr Euch gar nicht vorstellen könnt, wie schlimm es sein wird?“ Diese Frage ist so unfassbar dumm, dass sie nur einem ausgewähltem Publikum gestellt werden konnte,
welches von sich selbst und der herrschenden Ideologie komplett berauscht war,
das sich jeglichem Erkenntnisinteresse verweigerte und Skepsis nicht mehr zulassen konnte, weil man sonst Gewinn, Bequemlichkeit des Denkens, Sicherheit, Status und Recht verspielt hätte und damit umgekippt wäre.
Kritik war systemisch ohnehin nicht mehr zugelassen.
Das NS-Regime errichtete 1933/1934 einen totalitären Führerstaat. Alle Bereiche des öffentlichen Lebens wurden von der herrschenden Ideologie durchdrungen. Presse, Film und Literatur unterlagen einer strengen Zensur. Die Bürger wurden von Jugend an in NS-Massenorganisationen eingegliedert, deren Aufbau dem “Führerprinzip” entsprach.
Heute garantiert GG Artikel 5, Abs. 1 die Freiheit der Medien: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“
Aber es gibt da ein weit auslegbares Gesetz, und es gibt die Weisungsgebundenheit unserer Staatsanwaltschaften.
- 90a Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole
(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3)
die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht… wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Mit seiner Forderung „Mehr Demokratie wagen!“ implizierte Willy Brandt, das es zu wenig davon in unserem Staate gab. Wäre das nach heutigen Gesetzen eine Verunglimpfung des Staates? Wenn unsere weisungsgebundene Staatsanwaltschaft entsprechend instruiert würde, ja!
Die meisten Medien sind in den Händen mächtiger Konzerne / Interessengruppen. S. Bürgerbrief Paderborn und „die Anstalt, 2015“ und damit Mainstream, der Rest sind Schwurbler. Früher hätte man gesagt „Feindsender“. Eine gesetzlich verordnete Gleichschaltung der Medien ist also heute nicht mehr nötig.
Fazit:
Mit diesem Beispiel will der Verfasser lediglich aufzeigen, welche maximalen Konsequenzen die allgemeine Verweigerung von Erkenntnisinteresse nach sich ziehen kann und wie bitter notwendig es ist, gegen Mechanismen zu arbeiten, die eine Gesellschaft in den Strudel absoluter Mainstream-Hörigkeit führen können, denn Mainstream ist nichts weiter als hübsch verpackte Ideologie.
Im politischen Sinne dienen Ideologien zur Begründung und Rechtfertigung politischen Handelns. Sie sind immer eine Kombination von bestimmten Weltanschauungen, z.B. Kommunismus, Konservatismus, Liberalismus oder Sozialismus, verbunden mit einer spezifischen Art des Denkens und des Wertsetzens.
Faschismus, also ultranationalistische, antiliberale und antidemokratische Bewegungen sowie Totalitarismus, also politische Herrschaft mit einem uneingeschränkten Verfügungsanspruch über die Beherrschten lassen sich als Ideologien bezeichnen, die das Individuum in letzter Konsequenz von jeglicher gesellschaftlicher Verantwortung entbinden und durch Gehorsam ersetzen.
Wir erleben derzeit wohl die Ideologie der Zeitenwende. Niemand kann diesen Begriff vollständig definieren. Es spielt auch kaum noch eine gesellschaftliche Rolle, welche Konsequenzen uns in diesem Kontext erwarten. Die Masse unserer Mitbürger folgt dem Mainstream und überlässt gehorsam das Denken und Handeln unseren sogenannten Eliten. Kritik ist aus den zuvor genannten Gründen nicht mehr angesagt. Sie wird weise verurteilt, und zwar nach sehr ähnlichen Mechanismen, wie im Sportpalast. Diese bereits weit fortgeschrittene Stagnation verbreiteten Denkens, des wachsenden Gehorsams und die zunehmende Entbundenheit vieler Individuen von gesellschaftlicher Verantwortung durch Mainstream-Hörigkeit sind erschreckende Parallelen zum Goebbels Beispiel. Sie lassen sich in unserer heutigen Gesellschaft an wenigsten drei Faktoren belegen.
- Weitreichende Verweigerung von Skeptizismus gegenüber der Ideologie der Zeitenwende und damit von Erkenntnisinteresse nach der Formel „Dazulernen ist Umfallen und Umfallen ist schlecht“.
- Abnehmende Wahlbeteiligung (55,22% bei den Landtagswahlen in NRW 2022 im Vergleich zu 86,1% im Jahre 1975) und damit
- die weit verbreitete Unfähigkeit zum Diskurs.
Träfe alles oben Gesagte nicht zu, wären wahrscheinlich mehr Menschen zum Entwickeln und zum Verstehen fundierter Kritik in der Lage. Würden sie diese diskursiv nutzen, sähe unsere Welt demokratischer, gerechter und friedlicher aus.
Was bleibt also zu tun?
- Strategisch geplante öffentliche Gesellschaftskritik (positiv und negativ).
- Weg durch die Instanzen: Lokalpolitik, Kommunalpolitik und weiter.
- Zusätzliche Kommunikation durch ein Printmedium (regionalisierter Bürgerbrief), das gezielt und aktiv außerhalb unserer Blase verteilt werden kann.
- Weiterhin Gespräche suchen, wenn es auch schwer ist.
- Wer noch nicht oder nicht mehr aktiv in unserer Partei mitmacht, raffe sich auf!
- Vernetzen, vernetzen, vernetzen!
- Jochen König